Was brauchen wir eigentlich, um glücklich zu sein?
- Olga

- 17. Feb. 2023
- 4 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 1. Apr. 2024

8 Uhr morgens. Ich sitze in einem Büro. Über mir flackert eine Lampe mit künstlichem Licht, obwohl es draußen bereits hell ist. Mein Arbeitsplatz befindet sich gedrängt in einer Ecke des Raums. Man hat den Tisch in das Büro anderer Personen dazu gestellt, nachdem ein paar Schränke zur Seite gerückt wurden. Trotz des draußen beginnenden Sommertages ist die Lampe notwendig, weil das Büro düster ist. Insbesondere die Ecke mit meinem Tisch ist düster.
Ich schaue zu den anderen Personen, die mit mir in dem Büro sitzen. Ihre Gesichter sind ausdruckslos. Ihre Hautfarbe sieht grau und ungesund aus. Sie starren auf erleuchtete Bildschirme. Ich höre keine Gespräche, kein Tastaturtickern, kein Klicken einer Maus. Was geht wohl in den anderen vor? Sie sind regungslos. Was tun sie? Was denken sie?
Sind sie glücklich?
Bin ich glücklich?
Seit ich denken kann, wurde ich darauf getrimmt, eine gute Angestellte zu sein. Fleißig, zielorientiert, effizient. Erfolge wurden erst in Noten gemessen, dann in Arbeitszeugnissen und Zielerreichungen. In der Schule wurde mir verdeutlicht, dass es nur einen Weg zum Erfolg gibt. Ein Weg, der das Einordnen in ein vorgegebenes Schema vorsieht. Ein Weg, der keinen Raum für eigene Ideen und individuelle Träumereien lässt. Im Studium haben sich die Studierenden um mich herum anhand der Größe der Unternehmen verglichen, bei denen sie Praktika ergattern konnten – und auch anhand der Markennamen, mit denen sie ihre Körper schmückten.
Wer all diese Herausforderungen meistern kann, wer sich gut in dieses System integriert, wer immer ein bisschen mehr und ein bisschen härter arbeitet, als die anderen, der wird erfolgreich sein. Weil er einen guten Job bei einem bekannten Unternehmen bekommen wird. Weil er viel Geld verdienen wird. Weil er von diesem Geld ein Haus kaufen kann – und ein Auto – und ein größeres Haus – und eine schicke Sofagarnitur – und ein weiteres Auto.
Ich war fleißig. Ich war ehrgeizig. Ich war zielorientiert und effizient und angepasst. Ich habe geglaubt, dass ich mich einfach immer noch ein bisschen mehr anstrengen muss, um die nächste gute Bewertung, das Lob vom Chef und die nächste Gehaltserhöhung zu bekommen. Und dann...
...was kommt dann?
Erfolg?
Konsum?
Erfüllung?
Ich sitze noch immer in dem düsteren Büro. Die Lampe über mir reagiert auf Bewegungen und ist mittlerweile ausgegangen. Ich schließe die Augen und überlege für einen kurzen Moment, wie ich den Tag verbringen würde, wenn ich das tun würde, was mir Spaß macht und was sich heute für mich gut anfühlt. Ich frage mich, ob mich das Einhalten des vorgegebenen Pfades glücklich gemacht hat. Bin ich glücklich, weil ich in diesem Büro sitzen darf? Bin ich glücklich, weil ich teure Konsumgüter kaufen kann? Bin ich glücklich, wenn ich mich abends nach einem langen Tag zu Hause auf mein Sofa lege und realisiere, dass ich wieder nichts von dem gemacht habe, was mir heute Spaß gemacht hätte?
Die Yale Universität in Amerika bietet eine kostenfreie Online-Vorlesung an, zu der sich jeder einschreiben kann. "The Science of Well-Being" - die Wissenschaft des Wohlbefindens. Die Dozentin Laurie Santos stellt in diesem Kurs wissenschaftliche Studien vor, in denen gemessen wurde, was Menschen ein Gefühl von Glück spüren lässt und in welchen Fällen dieses nicht nur kurz und vergänglich ist, sondern langfristig zu einem glücklicheren Leben führt. Kernessenz der Ergebnisse ist, dass Errungenschaften und Konsumgüter uns nicht dauerhaft glücklich machen können. Sie verschaffen uns ein schnelles Hoch, doch nach einer kurzen Zeit pendelt sich unser Glücksniveau wieder auf dem vorherigen Level ein. Untersucht wurden Menschen vor und nach einer großen Beförderung oder dem Kauf eines lang ersehnten Luxusguts. Selbst Paare, die ihr Leben lang nach dem Traumpartner gesucht haben, waren schon kurz nach ihrer Hochzeit wieder auf dem Level, auf dem sie sich ohne den Partner bewegt haben.
Wollen wir wirklich langfristig glücklich sein, so die Erkenntnisse der Studien, so sollten wir gut auf unseren Körper achten, uns bewegen, gut essen und ausreichend schlafen. Wir sollten uns in Dankbarkeit üben und anderen gegenüber wohlgesinnt und mit Freundlichkeit entgegentreten. Wir sollten unsere Terminkalender ausmisten und dafür sorgen, dass wir unsere Zeit möglichst selbstbestimmt verbringen können. Wir sollten Leichtigkeit in unser Leben bringen.
Diese Erkenntnisse sind nicht neu. Wir hören sie immer wieder und sie begegnen uns überall. Marie Kondo rät dazu, beim Aufräumen alle Gegenstände in die Hand zu nehmen und sich zu fragen, ob sie ein gutes und glückliches Gefühl auslösen. Ist dies nicht der Fall, sollten wir sie loslassen und unser Leben nicht mit ihnen beschweren. Man mag über diesen Ansatz schmunzeln und wird dennoch feststellen, dass hier etwas sehr Wichtiges transportiert wird. Denken wir das Prinzip weiter und über Gegenstände hinaus, so stellen wir fest, dass wir jedes Ziel, jede Überzeugung, jedes Streben auf diese Art hinterfragen können. Was dann passiert, ist, dass wir vielleicht aufhören, Dingen wie Leistung, Effizienz, Geld, Macht und Konsum hinterherzulaufen. Dinge, die uns von klein auf vermittelt wurden und die dennoch nicht richtig sein müssen und nicht zwangsläufig gut für uns sind. Vielleicht erkennen wir dann, dass es viel weniger braucht, um ein glückliches Leben zu führen.
Vielleicht ist für ein glückliches Leben kein großes Haus nötig, keine zwei Autos, kein Kleiderschrank voller Markenklamotten und insbesondere kein düsteres und trostloses Büro. Vielleicht müssen wir nur von dem flackernden Bildschirm aufschauen, unseren Blick weiten und dann feststellen, dass die Tür hinter uns nicht abgeschlossen ist und wir jederzeit nach draußen gehen können, wo gerade die Sonne scheint und das Leben auf uns wartet.
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