Warum Minimalismus uns reich macht
- Olga

- 18. Apr. 2024
- 5 Min. Lesezeit

„Zu viele Menschen geben Geld aus, das sie nicht verdient haben, um Dinge zu kaufen, die sie nicht wollen, um Leute zu beeindrucken, die sie nicht mögen.“
- Will Rogers
Vor einer Weile habe ich Sex and the City geschaut. Die Serie und die Filme. Damals, ein Aufruf an alle Frauen, selbstbestimmt zu leben, das eigene Glück zu priorisieren und sich niemals den Mund verbieten zu lassen. Von meiner heutigen Perspektive aus betrachtet, eine schier unerträgliche Aneinanderreihung von Markennennungen, Shopping-Touren, Reichtum und Überfluss. Ein Klischee jagt das nächste, während die Protagonistin selbst bei einem Ausflug in die Natur Stöckelschuhe trägt und angsterfüllt kreischt, sobald sie ein Eichhörnchen sieht.
„Wie sehr lassen wir uns von dem dargestellten Reichtum beeindrucken und wünschen uns ebenso viel zu haben?“
Eine überzeichnete Darstellung der New Yorker Lebensweise, könnte man meinen. Mit viel Fantasie und Wohlwollen lässt sich gerade daraus eventuell sogar Gesellschafts- und Konsumkritik ableiten. Und doch: erkennen wir Zuschauer die Überzeichnung? Erkennen wir, dass ein solches Leben nicht real ist, geschweige denn erstrebenswert? Ich bin mir nicht sicher. Wie bewusst oder unbewusst leiten wir aus den dargestellten Szenen für uns ab, wie ein modernes Leben aussieht und welche Werte dabei im Vordergrund stehen? Wie sehr lassen wir uns von dem dargestellten Reichtum beeindrucken und wünschen uns ebenso viel zu haben, ebenso teure Kleidung zu kaufen, ebenso große und schicke Wohnungen zu besitzen? Und will nicht jeder von uns gerne reich sein?
„Sich mit anderen zu vergleichen, ist ein sehr menschliches und instinktives Verhalten.“
Sich mit anderen zu vergleichen, ist ein sehr menschliches und instinktives Verhalten. Wir vergleichen uns, um zu prüfen, ob wir zu einer Gruppe dazu gehören, ob wir uns konform verhalten, ob wir alles richtig machen. Erkennen wir eine Abweichung bei diesen Vergleichen, passen wir uns an: Der Mensch in der Höhle nebenan nutzt Feuer, um sein Essen zu braten und aufzuwärmen – das möchte ich auch. Sich zu vergleichen, ist ein lange erlerntes Verhalten. Es kann unser Überleben sichern. Es kann unser Wachstum fördern. Es kann uns aber auch dazu bringen, ein weiteres Paar teurer Designerschuhe zu kaufen, ein viel zu großes Haus zu finanzieren und das neuere und schnellere Auto zu wollen.
„Wir versuchen immer mehr Geld zu verdienen, immer reicher zu werden, um uns immer mehr Dinge zu kaufen und unseren Besitz zu vergrößern.“
Wir alle streben so nach immer mehr. Haben wir ein Ziel erreicht, wird der Status Quo zur Normalität. Der Erfolg wirkt nicht mehr besonders, denn wir haben ihn ja schon erreicht. Neue Ziele und neue Vergleiche müssen her. Höher, schneller, weiter. Größer, teurer, glänzender. Wenn wir eine Gehaltserhöhung bekommen, können wir uns ein größeres Auto kaufen und in eine andere Wohnung ziehen. Wir müssen dafür einen Kredit aufnehmen? Kein Problem, die nächste Beförderung kommt bestimmt. Von dem nächsten Bonus können wir uns die teure Lederjacke kaufen und eine neue Kücheneinrichtung. Es ist wie ein Spiel, bei dem wir das nächste Level erreichen, oder wie eine Treppe, bei der wir die nächste Stufe gehen. Wir versuchen immer mehr Geld zu verdienen, immer reicher zu werden, um uns immer mehr Dinge zu kaufen und unseren Besitz zu vergrößern. Das ist das Versprechen, das unsere Gesellschaft uns gibt: Wenn Du mehr und härter arbeitest, kannst Du aufsteigen und Wachstum, Glück und Anerkennung erfahren.
„Und so arbeiten wir wieder mehr und verbringen gleichzeitig immer weniger Zeit mit unseren Familien, unseren Kindern, unseren Partnern, mit uns selbst. Das, was wir so sehr wollen – glücklich zu sein – bleibt dabei auf der Strecke.“
Die Wirklichkeit sieht anders aus. Was wir lange nicht erkennen und was doch offensichtlich ist, ist, dass dieses Spiel oder diese Treppe kein Ende haben, denn wir finden immer neue Vergleiche, die uns schlecht dastehen lassen. Die lang ersehnte Gehaltserhöhung ist längst verplant und ausgegeben, sodass wir sie auf unserem Konto kaum noch wahrnehmen können. Und so arbeiten wir wieder mehr und verbringen gleichzeitig immer weniger Zeit mit unseren Familien, unseren Kindern, unseren Partnern, mit uns selbst. Das, was wir so sehr wollen – glücklich zu sein – bleibt dabei auf der Strecke. Auch das Gefühl von Erfolg, Reichtum und Wachstum stellt sich nicht ein, denn das nächste Ziel ist ja bereits am Horizont zu sehen.
„All den Konsum, all die schönen Dinge, bezahlen wir nicht nur mit Geld, sondern mit unserer Lebenszeit.“
Es ist eine entwaffnende Erkenntnis. Hat man sich einmal klargemacht, dass dieses Spiel davon abhängig ist, womit wir uns vergleichen und welche Ziele wir uns setzen, wird deutlich, dass wir das Ruder selbst in der Hand haben und jederzeit etwas verändern können. Es ist schließlich unser Konsumverhalten, das uns an ein bestimmtes Einkommen bindet, das uns wiederum an Jobs bindet, die wir eigentlich gar nicht mögen, wenn wir mal ehrlich zu uns sind. Jobs, die die Zeit reduzieren, die wir mit lieben Menschen, in der Natur oder mit unseren Hobbys verbringen könnten. All den Konsum, all die schönen Dinge, bezahlen wir nicht nur mit Geld, sondern insbesondere mit unserer Lebenszeit. Ein paradoxer Tauschhandel.
„Aber Du brauchst doch das Geld“, sagt eine Freundin zu mir, als ich ihr davon erzähle, dass ich meinen gut bezahlten Job gekündigt habe, weil er mich nicht glücklich gemacht hat und weil ich neben Geld vor allem Stress, Angst und Schulden mit nach Hause gebracht habe.
„Brauche ich es wirklich?“, frage ich sie, „Brauche ich wirklich so viel davon?“
Wie notwendig ist das große Haus mit den vielen Zimmern? Sind nicht in Wirklichkeit viele davon ungenutzt?
Wie notwendig ist der große Esstisch? Habe ich nicht in Wirklichkeit noch nie Freunde zum Essen eingeladen, weil ich abends nach der Arbeit immer viel zu müde für Besuch bin?
Wie notwendig ist das große Auto? Ärgert es mich nicht, dass ich kaum einen Parkplatz dafür finden kann?
Wie notwendig ist die Mitgliedschaft im Fitnessstudio? Ist sie nicht eigentlich nur eine unangenehme Erinnerung daran, dass ich schon ewig nicht mehr dort war?
„Eine Veränderung in unserem Umgang mit Vergleichen, Zielen und Konsum führt letztendlich dazu, dass am Monatsende viel mehr Geld übrig bleibt.“
Hören wir auf, mehr auszugeben, als wir verdienen, Dinge aus einer Laune oder aus einem Impuls heraus zu kaufen und hinterfragen wir stattdessen ganz ehrlich die Beweggründe, die uns zum Konsum anregen, reduzieren sich unsere Ausgaben drastisch. An das Gefühl der Ungenügsamkeit, das durch unrealistische und ungesunde Vergleiche entsteht, tritt die Erkenntnis, dass wir bereits ausreichend haben und dass die Dinge, die wir uns wirklich wünschen, mit Reichtum nicht zu bezahlen sind. Eine Veränderung in unserem Umgang mit Vergleichen, Zielen und Konsum führt letztendlich dazu, dass am Monatsende viel mehr Geld übrig bleibt.
„Seit ich Minimalistin bin, fühle ich mich reich.“
Seit ich Minimalistin bin und meine Kaufentscheidungen ausnahmslos bewusst treffe, fühle ich mich reich. Seither konnte ich alle meine Schulden abbezahlen und habe begonnen mein Geld clever zu investieren. Seither haben sich meine monatlichen Kosten so enorm reduziert, dass das Kündigen meines Jobs mir keine Angst mehr macht. Um mein Auskommen sicherzustellen, bin ich nun nicht mehr auf die nächste Gehaltserhöhung oder die nächste Beförderung angewiesen. Das Ausbrechen aus dem ewigen Hamsterrad aus Überstunden, Konsum und ungesunden Prioritäten ist für mich zu einer Realität geworden. An dessen Stelle tritt die Möglichkeit, mit meiner Lebenszeit das zu tun, was ich tun möchte und was sich gut anfühlt.
So sympathisch Carrie aus der Serie Sex and the City auch wirkte, so frage ich mich doch, wie selbstbestimmt sie wirklich war? Sie hat sich vielleicht nicht von Männern sagen lassen, wie sie ihr Leben leben soll, wohl aber von Modezeitschriften, von Labels und vor allem von einer Konsumgesellschaft, die Geld und Statussymbole über Menschen und über persönliches Glück stellt.
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