Warum Minimalismus uns zufriedener macht
- Olga

- 27. Feb. 2024
- 4 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 1. Apr. 2024

Es ist Samstag, 13 Uhr und ich sitze in der Straßenbahn auf dem Weg in die Einkaufsstraße meiner Heimatstadt. Doch ich bin nicht dorthin unterwegs, um die neusten Kleidungsstücke, Schuhe oder Accessoires der aktuellen Saison zu begutachten und zu kaufen. Ich möchte in die Buchhandlung.
Schon seit einigen Jahren pflege ich eine Liste mit Büchern, die ich lesen möchte. Empfehlungen von Freunden oder andere Situationen, in denen interessante Bücher erwähnt werden, führen dazu, dass diese Liste konstant befüllt wird. Immer wieder picke ich eines der Werke heraus und beschaffe es in der lokalen Bücherei oder, falls diese das Buch nicht verfügbar hat, in der nächstgelegenen Buchhandlung. Ich schreibe auf dieser Liste nicht dazu, warum mich dieses oder jenes Buch interessiert hat. So ist es jedes Mal eine kleine Überraschung und gibt mir die Möglichkeit, das Buch gänzlich neu zu entdecken. Ein kleiner, beinahe abenteuerlicher Moment in meinem Alltag, den ich nur für mich habe. Dieses Mal ist es ein Buch mit einem sehr bunten Cover. Darauf finden sich grelle Farbverläufe, intensive Töne wie zerlaufenes Acryl, Glitzer und ein starker Titel.
Ich bezahle das Buch an der Kasse und setze mich damit in das Café, das sich in der oberen Etage der Buchhandlung befindet. Frischer Kaffeeduft und das Geräusch beim Umblättern frisch gedruckter Seiten bringen mich dazu, lang und entspannt auszuatmen. Ein Blick aus dem Fenster verrät mir, dass ich mich hier in einer ganz anderen Welt befinde, als der dort draußen. Wie eine Oase der Ruhe wirkt dieser Ort, während sich draußen mehr und mehr Menschen durch die Fußgängerzone schieben. In ihren Händen befinden sich zahlreiche große Einkaufstaschen mit auffällig aufgedruckten Logos. Dort draußen wirkt es hektisch, laut, voll. Menschen auf einer Jagd nach Dingen. Auf einer Jagd nach dem süßen, aber kurzen Gefühl von Glück, wenn man die neue Errungenschaft in den Händen hält und sein Eigen nennen darf. Hier drinnen in diesem Café existiert all das nicht.
Ich schlage mein Buch auf. Die Autorin Glennon Doyle schreibt darin:
„Konsum lenkt ab, hält auf Trab, betäubt. Auf diese Weise lässt sich wunderbar ein Wirtschaftssystem führen, aber kein Leben.“ Wie passend, denke ich und frage mich, ob all diese Menschen dort draußen wirklich gerne ihren Samstag damit verbringen, durch etliche Kaufhäuser zu gehen und wie ein Raubtier auf Beutezug mit ihren Augen alles zu scannen, was dort geboten wird. Ob es den kleinen Moment der Freude wirklich wert ist. Ob sich nicht auf andere Weise am Ende des Tages ein viel erfüllteres Gefühl einstellen würde.
Während ich einen großen Schluck von meinem Kaffee nehme, fühle ich Dankbarkeit in mir aufsteigen. Dankbarkeit dafür, dass ich nicht länger das Bedürfnis verspüre, meine Wochenenden so zu verbringen. Dass ich das Gefühl, ständig irgendetwas kaufen zu müssen, ablegen konnte und es ersetzt habe mit der Erkenntnis, dass ich bereits alles habe, was ich brauche. Mit dieser Erkenntnis entwickelte sich auch die Einsicht, dass ich sogar noch viel weniger Dinge benötige, als ich anfangs dachte. So verließen mich nach und nach über die letzten Jahre immer mehr Einrichtungsgegenstände, Dekoartikel, Kleidungsstücke, Wünsche, unliebsame Gewohnheiten, sogar negative Gedanken. Das hat mir dabei geholfen zu erkennen, was im Leben wirklich wichtig ist und worauf ich meine Energie lenken möchte. Je mehr Dinge und alte Muster mein Leben verließen, desto mehr Leichtigkeit nahm den frei gewordenen Raum ein und desto mehr erkannte ich, was mir guttut und was ich mir tief im Inneren wünsche.
Ich erkannte, dass wir keine großen Autos, angesagte Marken oder teure Dekoartikel benötigen, um uns glücklich zu fühlen. Um wahres und andauerndes Glück zu empfinden, brauchen wir stattdessen Liebe, Genügsamkeit und Freiheit in unserem Leben.
Wo einst das Gefühl war, nicht genug zu haben, fand sich tief in mir zunehmend eine Idee von Leichtigkeit und Zufriedenheit.
In dem Film „Into the Wild“ wird der Zusammenhang zwischen der Einfachheit und Genügsamkeit des Lebens und dem Empfinden von Glück wie folgt beschrieben: „Ein stilles zurückgezogenes Leben in unserer ländlichen Einsamkeit und die Möglichkeit den Menschen Gutes zu tun, den man leicht Gutes tun kann und die so wenig daran gewöhnt sind. Eine Arbeit, von der man sich einen Nutzen verspricht, ferner Ruhe, Natur, Bücher, Musik, die Liebe zu seinem Nächsten. Das ist meine Vorstellung vom Glück und zu all dem noch dich als meine Lebensgefährtin und vielleicht auch Kinder. Was kann das Herz eines Menschen noch mehr wollen?“
Ich versinke völlig in meinem Buch und blicke erst wieder auf, als ich mich an meinen Kaffee erinnere. Ich trinke ihn sachte und genussvoll aus und mache mich dann auf den Weg nach Hause. Mein neues Buch halte ich locker unter meinem Arm. Auf meinem Gesicht trage ich ein Lächeln, während ich durch die hektische Menge spaziere. Ich strebe nicht mehr nach Konsumgütern, Statussymbolen und auch nicht nach dem schnellen Glücksgefühl beim Kauf neuer Dinge. Dennoch hat es mich an einem Samstagnachmittag in die Einkaufsstraße gezogen. Für ein neues Buch und die Möglichkeit meinen Kopf mit neuen Perspektiven, spannenden Gedanken und anderen Welten zu füllen. Jeder hat vermutlich eine Schwäche und einen Grund, der ihn an diesen Ort bringt und zu einem der Menschen in der hektischen wuseligen Masse macht.
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